Erwerbsbiografien sind heute weniger geradlinig als noch vor einigen Jahren. Dass jemand in seinem Ausbildungsbetrieb auch den Abschied in den Ruhestand feiert, ist die große Ausnahme. Umgekehrt wird Arbeitszeit immer mehr flexibilisiert, Guthaben landet auf Zeitwertkonten. Was passiert damit, wenn der Arbeitgeber wechselt? Oder bei einem Ausscheiden ohne neuen Arbeitsvertrag, zum Beispiel beim Weg in die Selbstständigkeit?
Stunden einfach mitnehmen
Die beliebteste Möglichkeit ist, das Zeitwertkonto bei einer Kündigung oder einem Aufhebungsvertrag auf den neuen Arbeitgeber zu übertragen. Das entspricht am besten dem Gedanken des Zeitwertkontos – Zeitguthaben aufbauen, um es später in Freizeit umzuwandeln. Gesetzlich geregelt ist das im Vierten Sozialgesetzbuch (§ 7f SGB IV). Der Vorteil dieser Lösung ist, dass trotz Kündigung oder Aufhebungsvertrag alle Vorteile bezüglich Steuern und Sozialabgaben erhalten bleiben. Die Verrechnung erfolgt zwischen altem und neuem Arbeitgeber, der Arbeitnehmer hat damit keinen Aufwand. Allerdings funktioniert der Übertrag nur, wenn der neue Arbeitgeber eine entsprechende Lösung überhaupt anbietet und dem Übertrag zustimmt. Einen Rechtsanspruch darauf gibt es nicht.
Die Rentenversicherung übernimmt die Rolle des Arbeitgebers
Und wenn es beim neuen Chef kein Zeitwertkonto gibt? Dann springt die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) ein. Sie übernimmt in Bezug auf das Zeitwertkonto treuhänderisch die Funktion des Arbeitgebers, verwaltet das Zeitwertkonto und sorgt gegebenenfalls für eine Auszahlung. Allerdings beschäftigt sich die DRV nicht mit „Kleinkram“. Eine Voraussetzung für den Übertrag ist, dass das Wertguthaben inklusive des gesamten Sozialversicherungsbeitrags höher ist als das Sechsfache der monatlichen Bezugsgröße. Die Bezugsgröße ist eine wichtige Kennzahl in der Sozialversicherung. Sie wird berechnet aus dem Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung vor zwei Jahren (für 2023 also aus 2021). Dieser Betrag wird als Jahreswert auf den nächsthöheren durch 420 teilbaren Betrag aufgerundet. Bei der Monatsbetrachtung ergibt sich folglich ein durch 35 teilbarer Wert.
Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Die Bezugsgröße beträgt 2023 in den westlichen Bundesländern jährlich 40.740 Euro, also monatlich 3.935 Euro. Das Sechsfache hiervon sind 20.370 Euro (einfachere Rechnung: den Jahresbetrag halbieren, das führt zum selben Ergebnis). Nur Zeitwertguthaben, die höher sind als 20.370 Euro, können an die DRV übertragen werden. In den östlichen Bundesländern einschließlich Berlin (Ost) sind es 19.740 Euro.
Mit dem Zeitwertguthaben bei der DRV kann der Arbeitnehmer ebenso umgehen wie mit einem durch den Arbeitgeber verwalteten Konto – also zum Beispiel Freistellungen vereinbaren oder seine Arbeitszeit reduzieren. Die Übertragung an die DRV ist eine endgültige Entscheidung – einen Rückweg gibt es nicht.
Der Störfall
Kann das Zeitwertkonto nicht übertragen werden, wird dies als Störfall bezeichnet. Das ist zum Beispiel beim Tod des Arbeitnehmers der Fall. Die Abrechnung als Störfall bedeutet, dass das Guthaben ausgezahlt wird, im Todesfall an die Erben. Der Nachteil ist, dass in diesem Fall Steuern und Sozialabgaben anfallen. Für die Sozialversicherung gilt grundsätzlich, dass die Beiträge im Nachhinein so berechnet werden, als hätte der Arbeitnehmer das Guthaben nicht angespart. Das klingt einfach, weil Zeitwertkonten nicht in Stunden geführt werden, sondern in Arbeitsentgelt umgerechnet werden. In der Praxis ist es aber doch eine komplexe Berechnung, für die die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger drei unterschiedliche Verfahren festgelegt haben.
Bild: Bigstockphoto.com / Tsyhun